Im Gespräch mit dem BVR-Vorstand

Das Jahr 2020 war ein gesellschaftlich und wirtschaftlich herausforderndes Jahr. Was nehmen Sie jenseits der konkreten Geschäftszahlen davon mit?

BVR-Präsidentin Marija Kolak: In der Tat, das Corona-Jahr 2020 hat vieles in erheblichem Umfang auf die Probe gestellt. Mit Blick auf die Unternehmensseite haben die dauerhaften Einschränkungen in einigen Branchen zu Belastungen geführt, deren existenzbedrohendes vollständiges Ausmaß wohl erst sehr viel später spürbar wird. Positiv war und ist vor diesem Hintergrund zu erkennen, wie sehr die genossenschaftlichen Werte und das Selbstverständnis der Genossenschaftsbanken in diesem Zusammenhang trugen und immer noch tragen. Allein der Marktanteil von knapp 30 Prozent des Antragsvolumens bei den KfW-Corona-Förderkrediten zeigt, dass sich die Institute ihrer Rolle für die Region und für ihre mittelständischen Kunden jederzeit sehr bewusst waren und auch es auch weiterhin sind. Darauf dürfen wir stolz sein.

Die deutsche Wirtschaft kommt bisher weitgehend gut durch diese schwierige Zeit. Allerdings hat dabei auch das Aussetzen der Insolvenzantragspflicht geholfen. Bereiten sich die Genossenschaftsbanken auf die Zeit danach vor?

BVR-Vorstandsmitglied Gerhard Hofmann: In der Tat hat die ausgesetzte Insolvenzantragspflicht den Wirtschaftsunternehmen erst einmal geholfen. Die Insolvenzen sind im Vorgleich zum Jahr davor gesunken. Wir rechnen aber für dieses und das nächste Jahr mit einem Anstieg. Die Genossenschaftsbanken sind dafür gewappnet und haben in den letzten Jahren ihre Stärken ausgebaut. Sie haben die nötige Resilienz, um die Belastungen aus der Coronakrise zu bewältigen. Bei der Unterstützung unserer Kundinnen und Kunden mit Krediten sehen wir die Risiken als gut beherrschbar an. Bis jetzt sind nur sehr vereinzelt höhere Kreditrisiken bei Firmenkunden der Genossenschaftsbanken erkennbar. Dabei hilft auch die sehr granulare und regionale Verteilung des Kreditportfolios in der genossenschaftlichen FinanzGruppe. Insgesamt kann man erkennen, dass Banken überall in Europa die Realwirtschaft auf ihrem Weg der Erholung begleiten und dabei zugleich ihre eigene Stabilität im Blick behalten müssen.

Sind die Genossenschaftsbanken also stabil genug, die Belastungen aus der Coronakrise zu meistern?

Gerhard Hofmann: Die Eigenkapital- und die Liquiditätsausstattung unserer Institute ist sehr gut. Die regulatorische Eigenmittelausstattung liegt bei fast 100 Milliarden Euro. Das macht uns zu Partnern, auf die man sich stützen und auf die man zählen kann. Das ist wichtig. Gerade in dieser schwierigen Zeit kommt es doch vor allem auf zwei Dinge an: Vertrauen und Stabilität. Die Genossenschaftsbanken in Deutschland verkörpern beides.

Dafür müssen dann aber auch alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Genossenschaftsbanken an einem Strang ziehen. Wie stufen Sie die mannschaftliche Geschlossenheit im Zuge der Coronakrise ein?

BVR-Vorstandsmitglied Dr. Andreas Martin: Da will ich gern auf die Art und Weise aufmerksam machen, wie in der akuten Coronakrise nahezu das gesamte Bankgeschäft von einem Tag auf den anderen ins Kundenservicecenter oder ins Homeoffice verlagert wurden. Das hatte auf jeden Fall Champions-League-Niveau. Das lebhafte Kundengeschäft fand pandemiebedingt fast ausschließlich digital oder digital-persönlich statt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Genossenschaftsbanken haben große, oft über das Tagesgeschäft hinausgehende Anstrengungen unternommen, um die Menschen und Unternehmen auch in der Krise mit Bankdienstleistungen zu vorsorgen. Wir waren immer erreichbar. Die genossenschaftliche Bankengruppe hat in diesem Jahr wieder einmal ihre hohe Anpassungsfähigkeit unter Beweis gestellt.

Was bleibt davon, wenn die Pandemie vorbei ist?

Dr. Andreas Martin: Eine ganze Menge, da bin ich mir sicher. Zunächst einmal das Wissen über die Stärken der eigenen Organisation einschließlich der hohen Verfügbarkeit der IT und natürlich auch die Erkenntnis, dass Banking in Zukunft noch digitaler wird. Hier war das Coronajahr ganz gewiss ein Beschleuniger. Man muss aber auch ganz klar sagen, wir als Regionalbanken wollen immer beides bieten: digitales und persönliches Bankgeschäft. Im Zahlungsverkehr wiederum hat sich die Akzeptanz des kontaktlosen Bezahlens rasant verfestigt. Verbraucher und Kassenpersonal haben die berührungslose Zahlung schätzen gelernt. Ich gehe davon aus, dass sich dieser Trend auch mit dem Abklingen der Pandemie nicht umkehren wird.

Da trifft es sich gut, dass die genossenschaftliche FinanzGruppe im Jahr 2020 wegweisender Beschlüsse zur strategischen Weiterentwicklung der Organisation getroffen hat, oder? Welche Bedeutung hat dieser Beschluss?

Marija Kolak: Die Kreditwirtschaft steht insgesamt vor großen Herausforderungen, denen sich auch die genossenschaftliche FinanzGruppe nicht entziehen kann und unsere Mitgliederversammlung hat sich dem mit großer Mehrheit gestellt. Der Kampf um den Zugang zum Kunden, dauerhaft sehr niedrige Zinsen sowie immer höhere regulatorische Anforderungen an das Bankgeschäft verlangen nach strategischen Antworten. Diese kann keine Bank aus unserer Gruppe alleine geben. Daher war es wichtig, jetzt als Organisation in großer Geschlossenheit klarzumachen, in welche Richtung wir gehen wollen. Was steht auf unserer Agenda? An welchen Themen wollen wir gemeinsam arbeiten? Wie arbeiten wir in der Gruppe an diesen Aufgabenstellungen? Das ist eine Gemeinschaftsaufgabe, bei der die gesamte Organisation eingebunden ist. Mannschaftliche Geschlossenheit ist dafür immens wichtig.

Apropos Zukunftsstrategie: Die Bundesregierung hat erklärt, Deutschland zu einem führenden Standort für das Thema Sustainable Finance machen zu wollen. Ist das auch ein Thema für die Genossenschaftsbanken?

Gerhard Hofmann: Wir unterstützen dieses Ziel der Bundesregierung mit viel Energie. Voraussetzung für den Erfolg sind allerdings verlässliche politische Rahmenbedingungen. Denn die Transformation der Wirtschaft, insbesondere der Übergang zu einer CO2-armen Wirtschaftsweise setzt erhebliche Investitionen voraus. Den Banken kommt dabei als Kreditgeber eine bedeutende Rolle zu. Nachhaltigkeit hat in unserer Branche damit endgültig die Nische verlassen und wird in den nächsten Jahren ein wichtiger Faktor im Wettbewerb. Deshalb steht das Thema bei uns auch ganz oben auf der strategischen Agenda. Dabei ist die Umsetzung für uns mehr Kür als Pflichtübung. Schließlich passt Nachhaltigkeit ausgesprochen gut zu unseren genossenschaftlichen Werten. Mit der Unterzeichnung der Unterstützererklärung zu den Prinzipien der Vereinten Nationen für ein verantwortliches Bankwesen unterstreicht der BVR die genossenschaftliche Nachhaltigkeitsausrichtung. Wir nehmen eine zunehmende Dynamik in der genossenschaftlichen FinanzGruppe mit vielfältigen Maßnahmen erfreut zur Kenntnis.

Also kann Morgen kommen?

Dr. Andreas Martin: Selbstverständlich. Mit Blick auf die Pandemie können wir inzwischen optimistisch nach vorn blicken. Mehr Impfstoffe und die Aufhebung der pandemiebegründeten Beschränkungen werden zu einer spürbaren wirtschaftlichen Belebung führen. Allerdings darf der sich abzeichnende Aufschwung kein konsumgetriebenes Strohfeuer werden. Die Politik sollte ihre Öffnungsstrategie klar definieren und noch vor der Bundestagswahl stärkere Anreize für Investitionen der Unternehmen und damit für mehr nachhaltiges Wachstum setzen. Investitionen und Innovationen sind der Dreh- und Angelpunkt einer gesunden volkswirtschaftlichen Entwicklung…

Marija Kolak: "Morgen kann kommen" ist ja auch der aktuelle Werbeclaim der Volksbanken und Raiffeisenbanken. Wir glauben fest daran, dass es viele Gründe gibt, zuversichtlich zu sein. Im Schulterschluss mit unseren Kundinnen und Kunden wird es uns gelingen, die wirtschaftliche Erholung zu begleiten und zu unterstützen: Wir sind eine sehr kraftvolle Gruppe und ein gutes Team – ausgehend von den Primärinstituten, über die DZ Bank, unseren IT-Dienstleister bis hin zu den Verbänden und Dienstleistern. Und wir sind ein wichtiger Anker für die wirtschaftliche Stabilität in Deutschland.