Wirtschaft im Bann der Corona-Krise
Im Frühjahr 2020 stehen weltweit mehr oder weniger alle Lebensbereiche im Zeichen der Corona-Pandemie. Mit dem Ziel, das Tempo der Virus-Ausbreitung zu reduzieren und eine Überlastung der Gesundheitssysteme zu verhindern, wurden in vielen Staaten gesundheitliche Maßnahmen ergriffen, die den sozialen Kontakt stark einschränken. Auch wurden und werden hierzulande und in vielen anderen Ländern umfassende Hilfsmaßnahmen beschlossen beziehungsweise angekündigt, die auf eine Abfederung der wirtschaftlichen Krisen-Folgen abzielen. Dennoch scheint es unvermeidlich, dass die Wirtschaftsleistung Deutschlands 2020 erheblich zurückgehen wird.
Auch die Entwicklung an den Finanzmärkten hat sich im neuen Jahr von der Entwicklung 2019 abgekoppelt. Der Unsicherheitsschock durch die Pandemie erschüttert die Aktien- und Anleihemärkte. Die Notenbanken stellen ihre ohnehin auf Expansion ausgerichtete Geldpolitik auf Krisenmodus um und agieren somit nochmals deutlich expansiver.
Wirtschaftswachstum bereits 2019 deutlich geringer
Aber auch schon 2019 hat die konjunkturelle Dynamik nach vielen Jahren des Aufschwungs merklich nachgelassen. Die Auslastung der Produktionsfaktoren ging erheblich zurück. Das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg um nur 0,6 Prozent. 2018 hatte es noch um 1,5 Prozent zugenommen. In den Jahren 2017 und 2016 expandierte das Bruttoinlandsprodukt sogar um 2,5 Prozent und 2,2 Prozent.
Konjunktur: Vielseitige Belastungen
Die Gründe für diese Entwicklung liegen vor allem im globalen Umfeld. Die schwächere Weltwirtschaft, eskalierende Handelskonflikte, geopolitische Spannungen im Nahen Osten und Unsicherheiten rund um den EU-Austritt Großbritanniens belasteten die Geschäfte der außenhandelsorientierten Wirtschaftsbereiche. Im verarbeitenden Gewerbe kamen überdies auch inländische Probleme zum Tragen, besonders die strukturellen Veränderungen in der Automobilindustrie mit neuen emissionsarmen Antrieben. Die überwiegend inlandsorientierten Wirtschaftsbereiche präsentierten sich nach wie vor zumeist in einer guten Verfassung.
Konsum bleibt lebhaft
Bei den Konsumausgaben setzte sich 2019 das solide Wachstum der Vorjahre fort. Die privaten Konsumausgaben expandierten um 1,6 Prozent (2018: 1,3 Prozent). Sowohl der andauernde Beschäftigungsaufbau sowie die vielfach kräftigen Verdienststeigerungen kurbelten den privaten Verbrauch an. Stimulierend wirkten zudem einige finanzpolitische Maßnahmen der Bundesregierung, wie die Wiedereinführung der paritätischen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung und die Ausweitung der sogenannten Mütterrente. Der Zuwachs der Konsumausgaben des Staates lag 2019 mit 2,6 Prozent deutlich über dem Wachstum des Privatkonsums. Dafür sorgte unter anderem der weitere Stellenaufbau im öffentlichen Dienst. Private und staatliche Konsumausgaben trugen zusammen mit 1,3 Prozentpunkten zum BIP-Anstieg von 0,6 Prozent bei. Sie waren damit der wichtigste Treiber des Wirtschaftswachstums.
Investitionen expandieren moderat
Auch die Bruttoanlageinvestitionen nahmen 2019 zu. Der Boom in der Bauwirtschaft hielt an. Er führte zu einem beschleunigten Investitionszuwachs um 3,9 Prozent (2018: 2,5 Prozent). Trotz der Knappheit an Arbeitskräften, Bauland, Baumaterialien wurde bei den Wohnungsbauinvestitionen das hohe Vorjahreswachstum nochmals gesteigert. Gestützt durch Bahn-Investitionsprojekte und Breitbandausbau zog auch im Nichtwohnungsbau das Expansionstempo an. Der Anstieg der Ausrüstungsinvestitionen fiel mit 0,4 Prozent hingegen erheblich schwächer aus als im Vorjahr (4,4 Prozent). Die Bereitschaft, in Ausrüstungen zu investieren, wurde durch die enormen weltwirtschaftlichen Unsicherheiten und die rückläufige Kapazitätsauslastung im verarbeitenden Gewerbe spürbar beeinträchtigt. Zudem kam es im Zuge einer rückläufigen Industrieproduktion bei zugleich leicht steigenden Exporten zu einem merklichen Vorratsabbau. Insgesamt verringerten die Investitionen unter Berücksichtigung der Vorratsveränderung daher das gesamtwirtschaftliche Wachstum um 0,3 Prozentpunkte.
Schwacher Außenhandel
Die erwähnten außenwirtschaftlichen Belastungen – insbesondere die von den USA ausgehenden handelspolitischen Konflikte – trübten das globale Investitionsklima erheblich ein. Sie ließen den Welthandel zurückgehen. Deutschland war hier besonders betroffen, da die Industrie auf die Produktion von Investitionsgütern spezialisiert ist. Der Anstieg des Exportgeschäfts der deutschen Wirtschaft um 0,9 Prozent halbierte sich daher gegenüber dem Vorjahr (2,1 Prozent). Das Importwachstum schwächte sich trotz der hohen Binnennachfrage ebenfalls deutlich ab und sank von 3,6 Prozent auf 1,9 Prozent. Dennoch fiel es erneut stärker aus als der Exportzuwachs. So verminderte der Außenhandel insgesamt den BIP-Anstieg, wie bereits 2018, um 0,4 Prozentpunkte.
Staat mit niedrigerem Haushaltsüberschuss
Der gesamtstaatliche Finanzierungsüberschuss sank nach einem Rekordwert von 62,4 Milliarden Euro (2018) 2019 auf 49,8 Milliarden Euro. Dies entspricht 1,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Für diesen Rückgang war nicht zuletzt die konjunkturelle Abkühlung verantwortlich. Sie dämpfte das Wachstum der Steuereinnahmen. Zudem führte die Finanzpolitik zu einem höheren Ausgabenzuwachs. So steigerte der Staat seine Sozialleistungen deutlich und kaufte mehr Vorleistungen, etwa im Rahmen des Digitalpakts für Schulen. Der Schuldenstand der öffentlichen Hand dürfte in Relation zum Bruttoinlandsprodukt erstmals seit 2002 leicht unter den Maastricht-Referenzwert von 60 Prozent gefallen sein.
Beschäftigungsaufbau flaut ab
Am Arbeitsmarkt verlor das Beschäftigungswachstum an Schwung. Die Zahl der Menschen, die im Inland erwerbstätig sind, stieg im Jahresdurchschnitt 2019 um rund 400.000 auf etwa 45,3 Millionen. 2018 hatte sie noch fast um 610.000 zugelegt. Der Zuwachs beruhte abermals allein auf einer Ausweitung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Die Zahl der Selbstständigen sowie der ausschließlich geringfügig entlohnten Beschäftigten sank weiter. Bei der Arbeitslosigkeit setzte sich der Abwärtstrend fort. Die Arbeitslosenzahl sank um rund 73.000 auf knapp 2,3 Millionen Menschen. Die Arbeitslosenquote ging um 0,2 Prozentpunkte auf 5,0 Prozent zurück.
Verbraucherpreise: Geringerer Auftrieb
Der Anstieg der Verbraucherpreise blieb 2019 moderat. Die monatliche Inflationsrate, gemessen am Verbraucherpreisindex, stieg nur im April vorübergehend über 2 Prozent. Im Jahresdurchschnitt lag die Inflationsrate bei 1,4 Prozent und damit etwas niedriger als 2018 (1,8 Prozent). Maßgeblich für den Rückgang der Gesamtrate waren die Energiepreise. Ihr Auftrieb verminderte sich im Zuge niedrigerer Rohölpreisnotierungen spürbar. Nach einer kräftigen Verteuerung von 4,6 Prozent im Vorjahr mussten die Verbraucher 2019 für Energieprodukte 1,4 Prozent mehr Geld aufwenden. Auch die Preise für Nahrungsmittel (1,4 Prozent) und Dienstleistungen (1,5 Prozent) stiegen moderat und im Wesentlichen proportional zur Gesamtentwicklung.
Industrielle Wertschöpfung: Deutlicher Rückgang
Die schwierige weltwirtschaftliche Situation und die global nachlassende Investitionsgüternachfrage verschlechterten die Geschäftslage der vielfach stark außenhandelsorientierten und auf die Produktion von Investitionsgütern spezialisierten deutschen Industrie. Die preisbereinigte Bruttowertschöpfung des verarbeitenden Gewerbes sank 2019 gegenüber 2018 um 3,7 Prozent. 2018 war sie noch um 1,5 Prozent gestiegen. Die Gründe für die Industrieschwäche sind nicht nur im internationalen, sondern auch im inländischen Umfeld zu suchen. Gemäß den amtlichen Volumenindizes nahm der Inlandsumsatz des verarbeitenden Gewerbes sogar stärker ab (–2,6 Prozent) als der im Ausland generierte Umsatz (–1,4 Prozent). Verantwortlich hierfür waren nicht zuletzt die Hersteller von Kraftwagen und Kraftwagenteilen. Diese konnten ihren Auslandsumsatz zwar leicht um 0,7 Prozent steigern, mussten beim inländischen Absatz (–0,2 Prozent) jedoch Verluste hinnehmen, im Zuge der Umstellung auf neue Antriebstechniken. Aber auch im Maschinenbau, der nach der Automobilbranche umsatzmäßig bedeutsamsten Industriebranche, entwickelte sich der Inlandsumsatz (–4,1 Prozent) schlechter als der Auslandsumsatz (–2,5 Prozent). Ungeachtet der konjunkturellen Schwäche stieg die Zahl der Erwerbstätigen im verarbeitenden Gewerbe weiter. Gemäß aktueller Daten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen legte sie um 0,5 Prozent auf knapp 7,8 Millionen zu.