Krieg in Europa, Inflation, Zinserhöhungen

Das Jahr 2022 wurde auch an den Finanzmärkten vom russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine geprägt, der am 24. Februar begann. Dieser führte zu steigenden Energie- und Rohstoffpreisen, die sich global in den höchsten Verbraucherpreisinflationsraten seit mehreren Jahrzehnten niederschlugen. Dabei traf die kriegsbedingte Energie- und Nahrungsmittelinflation auf eine bereits hohe Kerninflation, die den Preisauftrieb ohne diese beiden Faktoren misst. In den USA lag sie im Dezember 2021 bereits bei annualisiert 5,5 Prozent, im Euroraum bei 2,6 Prozent. 2022 stiegen beide Kernraten weiter. Sie erreichten 5,7 beziehungsweise 5,2 Prozent. Verantwortlich hierfür waren anfangs vor allem Angebotsengpässe infolge aufgehobener weltweiter Corona-Beschränkungen – mit Ausnahme Chinas – sowie fortbestehender Lieferkettenprobleme infolge dieser Beschränkungen. Im Jahresverlauf kamen Zweitrundeneffekte hinzu, als Unternehmen und Arbeitnehmer auf die hohe Inflation mit Preiserhöhungen beziehungsweise Forderungen nach Lohnsteigerungen reagierten.

Weltweit reagierten Notenbanken auf die hohe Inflation mit Zinserhöhungen, also einer restriktiveren Geldpolitik. Während Schwellenländer ihre Leitzinsen teils schon 2021 erhöht hatten – wie etwa Brasilien, das seinen Leitzins bereits 2021 von 2 auf 9,25 Prozent erhöhte –, folgten die Industriestaaten erst 2022. Die US-Notenbank Fed erhöhte ihren Leitzins erstmals im März 2022. Die Europäische Zentralbank (EZB) begann im Juli 2022. Zuvor betrieben beide Notenbanken eine stark expansive Geldpolitik mit sehr niedrigen Zinssätzen. Die Federal Funds Rate lag bei 0 bis 0,25 Prozent, die Hauptrefinanzierungsrate der EZB ebenfalls bei 0 Prozent. Zum Jahresende 2022 lag der Leitzins der EZB bei 2,5 Prozent. Der Leitzins der Fed taxierte bei 4,25 bis 4,5 Prozent.

USA: Fed vollzieht strammen Kurswechsel

Die US-Notenbank Fed straffte ihren geldpolitischen Kurs 2022 also deutlich. Sie erhöhte den Leitzins um 425 Basispunkte. Parallel begann sie den Abbau ihrer Bestände an Staats- und anderen staatsähnlichen Anleihen, die sie während der Niedrigzinsphase und der Corona-Pandemie erworben hatte. Ab Juli verringerte die Notenbank ihre Staatsanleihebestände um monatlich 30 Milliarden Dollar, indem sie fällig werdende Anleihen nicht reinvestierte. Ab September wurden monatlich 60 Milliarden Dollar nicht mehr reinvestiert.

Die Fed begegnete mit diesem straffen Kurs auch der Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale, also wechselseitigen Erhöhungen von Löhnen und Preisen. Die Arbeitslosigkeit in den USA lag 2022 durchgängig zwischen 3,5 und 3,8 Prozent, nahe der Vollbeschäftigung. Entsprechend gut konnten die Arbeitnehmer verhandeln: Das mittlere wöchentliche Gehalt stieg um 7,3 Prozent und damit stärker als die Verbraucherpreisinflation von 6,5 Prozent. Diese lag damit zugleich mehr als dreimal so hoch wie das Inflationsziel der Notenbank von 2 Prozent. Auch zum Ende des Jahres blieb der Inflationsdruck hoch. Die US-Notenbank signalisierte zum Jahresende eine, wenngleich langsamere Fortsetzung ihres Kurses steigender Leitzinsen.

Renditen von Bundesanleihen, Monatsenddaten

in Prozent

10-jährige Restlaufzeit:

5-jährige Restlaufzeit:

2-jährige Restlaufzeit:

Europa: EZB hadert mit Inflationsgefahren

Zum Jahresbeginn ging die EZB trotz hoher und steigender Inflationsraten noch von einem temporären Inflationsschub aus. In mehreren Schritten beendete sie zuerst ihre Anleihekaufprogramme. Diese wurden eingeführt, um die bestehende stark expansive Geldpolitik noch zu verstärken. Im Februar endeten die Zukäufe des pandemiebedingten Anleihekaufprogramms (PEPP) und im Juli die des schon 2014 gestarteten Anleihekaufprogramms APP. Die Leitzinsen blieben daher zunächst noch extrem niedrig. Parallel stieg die Verbraucherpreisinflation im Euroraum im ersten Halbjahr von 5 auf 8,6 Prozent. Beginnend mit dem 27. Juli erhöhte die EZB dann auch ihren Leitzins erstmals seit dem Jahr 2011. In fünf Monaten stieg er um 250 Basispunkte auf 2,5 Prozent. Zum Jahresende kündigten EZB-Präsidiumsmitglieder weitere Zinsschritte für das Jahr 2023 an, um die Inflation auf den Zielwert von 2 Prozent zurückzuführen.

Parallel zu den Zinserhöhungen änderte die Notenbank nachträglich die Bedingungen der zuvor an Banken ausgereichten Gezielten längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte (englisch TLTRO). Damit hatte sie unter anderem während der Corona-Pandemie Kreditinstituten günstige Finanzierungskonditionen angeboten. Ziel: die Stabilisierung beziehungsweise Erhöhung der Kreditvergabe. Die Änderungen erhöhten den auf diese Geschäfte von den Kreditinstituten zu zahlenden Zins. Die EZB begründete ihre Entscheidung mit dem geänderten Leitzinsumfeld, aber auch mit dem Ziel einer Dämpfung der Kreditvergabe angesichts der hohen Inflation. Zusätzlich bot die EZB Ende 2022 vorzeitige Rückzahlungen der TLTRO-Kredite an, um deren Volumen zu verringern. Bis Jahresende wurden so 35,2 Prozent der Bestände abgebaut.

Auf ihrer letzten Sitzung im Jahr 2022 entschied die EZB zudem, die vollständige Reinvestition ihrer Bestände an Staatsanleihen zu beenden. Ab März 2023 sollen so Bestände von durchschnittlich 15 Milliarden Euro monatlich abgebaut werden. Diese Entscheidung gilt für das Kaufprogramm APP mit einem Volumen von 3.258 Milliarden Euro, nicht aber für das Pandemie-Notfallprogramm PEPP. Dessen Anleihen in Höhe von 1.684 Milliarden Euro sollen bis mindestens Ende 2024 vollständig reinvestiert werden.

Anleiherenditen im Aufwärtsgang

Das vergangene Jahr war auch für die internationalen Anleihemärkte außergewöhnlich. Sorgte Russlands Angriff auf die Ukraine unmittelbar noch für einen Rückgang der Anleiherenditen und damit eine Kurserholung, stiegen die Renditen im weiteren Jahresverlauf deutlich. Die zunehmend straffen Zinsschritte weltweit wichtiger Notenbanken, insbesondere in den Industrieländern, bewirkten einen deutlichen Kursverfall. Entsprechend deutlich stiegen die Renditen.

Sie stiegen ab März 2022, als die US-Notenbank Fed ihren Kurs änderte und ihre Leitzinsen erstmalig erhöhte. So war die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe Anfang März zum letzten Mal negativ, bei –0,10 Prozent. Bis zum 20. Juni erhöhte sie sich aufgrund steigender Inflations- und Zinserwartungen auf 1,75 Prozent. Die Anstiege anderer Staatsanleihen verliefen ähnlich. Im Sommer beruhigten sich die Renditen zwischenzeitlich. Sie fielen, erneut am Beispiel der zehnjährigen deutschen Anleihe, auf 0,76 Prozent am 1. August zurück. Die Anleger reagierten in dieser Zeit auf die sehr negativen Konjunkturprognosen des Sommers, die etwa für Europa eine Gasmangellage mit Energierationierung prognostizierten. Zugleich herrschte auch hinsichtlich der Zins- und Inflationspfade noch größere Unsicherheit. Dies erschwerte auch die Marktbewertung von Anleihen.

Ab Mitte August setzte dann jedoch ein erneuter Aufwärtstrend ein. Dieser war von den nun pa-rallelen Zinserhöhungen der großen westlichen Notenbanken geprägt. Die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe stieg auf 2,56 Prozent zum Jahresende. Damit lag die Rendite 274 Basispunkte höher als zu Jahresanfang. Die Rendite der zehnjährigen US-Bundesanleihe stieg 2022 von 1,50 Prozent auf 3,83 Prozent, also um 233 Basispunkte. Neben den Renditen stieg auch die Volatilität an den Anleihemärkten. Besonders in der zweiten Jahreshälfte reagierte diese sehr stark auf makroökonomische Daten und die Ankündigungen der Notenbanken Fed und EZB.

Wechselkursentwicklung, US-Dollar pro Euro, Monatsdurchschnitt

DAX-Entwicklung, Indexpunkte, Monatsdurchschnitt

Euro fällt zeitweise unter Parität, kann sich aber stabilisieren

Die europäische Gemeinschaftswährung schwächte sich im Jahresverlauf – ausgehend von einem Kurs zum Jahresauftakt von 1,14 Dollar – gegenüber dem Dollar deutlich ab. In den ersten drei Quartalen 2022 wirkten sich die schnelleren Zinserhöhungen der Fed und die erwarteten schweren konjunkturellen Folgen der Energiekrise für Europa durch Russlands Angriffskrieg negativ auf den Wechselkurs des Euro aus. Auch der Status des Dollar als sichere globale Reservewährung ließ die Gemeinschaftswährung wie viele andere Devisen an Gegenwert verlieren. Im August unterschritt der Euro erstmals seit 2002 die Parität zum US-Dollar. Am 27. September 2022 erreichte er mit einem Wert von 0,96 Dollar sein Minimum.

Im vierten Quartal erholte sich der Euro dann jedoch wieder etwas. In diesem Zeitraum nahmen die Schätzungen für die weiteren Zinsschritte der Fed leicht ab, während sie für den Euroraum stiegen. Damit verringerte sich der erwartete, zu Ungunsten des Euroraums ausfallende Zinsabstand der großen Währungsräume. Weiterhin profitierte der Euro von rückläufigen Rohstoff- und Energiepreisen sowie einem ungewöhnlich milden Winter. Dieser verringerte die Wahrscheinlichkeit einer Gasmangellage deutlich. Die Gemeinschaftswährung beendete das Jahr 2022 mit einem Gegenwert von 1,07 Dollar. Dabei handelt es sich immer noch um einen Rückgang von 6,1 Prozent zum Vorjahresendwert.

DAX schließt mit moderaten Verlusten

An den Aktienmärkten begann der DAX das Jahr mit leichten Verlusten. Die Rückgänge weiteten sich nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine schnell aus. Nach noch 15.884,86 Punkten zum Jahresauftakt fiel der deutsche Leitindex bis zum 8. März auf einen zwischenzeitlichen Tiefstand von 12.831,51 Punkten. Die starken Verluste konnten dann zwar wieder ausgeglichen werden. Die Abwärtsbewegung hielt aber an. Am 29. September erreichte der DAX seinen Jahrestiefstand mit 11.975,55 Punkten. Das ist ein Rückgang um 24,6 Prozent zum Stand vom Jahresanfang. Dahinter standen die mit dem Krieg verbundenen Preisanstiege bei Rohstoffen und insbesondere Energie, also Erdöl und -gas. Für Erdgas konnte zudem eine Knappheit mit entsprechenden Rationierungen nicht ausgeschlossen werden. Zudem verteuerte die zunehmend weniger expansive Geldpolitik die Refinanzierung der Unternehmen. Sie senkte die Wachstumserwartungen für das laufende und die kommenden Jahre.

Der ungewöhnlich warme Winter des vierten Quartals 2022 entschärfte diese Negativszenarien der Konjunktur und Energieversorgung. Da der Energieverbrauch aufgrund des milden Wetters sank und die chinesische Wirtschaft bis spät im Jahr in Corona-Lockdowns verharrte und entsprechend weniger Energie nachfragte, fielen auch die Notierungen der Energiepreise. Damit verbesserten sich die Erwartungen für die europäische Wirtschaft. Parallel dämpften auf hohem Niveau rückläufige Inflationsraten in den USA die Erwartung an weitere Leitzinserhöhungen und verbesserten damit die Konjunkturerwartungen. Zuletzt wandte sich die Volksrepublik China im Dezember 2022 von ihrer Null-Covid-Politik ab. Dadurch zeichneten sich eine wirtschaftliche Öffnung des Landes und damit wieder mehr Absatzchancen für westliche und deutsche Unternehmen im Jahr 2023 ab. Der DAX erholte sich daher zum Jahresende auf 13.923,59 Punkte. Das ist ein Anstieg um 16,3 Prozent gegenüber dem Tiefststand im September.

Auf das Gesamtjahr gerechnet verlor der DAX allerdings 12,3 Prozent und zeichnete sich wie die globalen Aktien- und Anleihenmärkte durch deutlich gestiegene Volatilität aus. Im internationalen Vergleich entwickelte sich der deutsche Leitindex damit schlechter als der europäische Index Euro Stoxx 50, der 11,7 Prozent verlor, oder der traditionelle US-Index Dow Jones mit –8,8 Prozent. Der technologielastige Nasdaq verlor hingegen mit 33,1 Prozent deutlich stärker an Wert.