e) Zahlungsverkehr

Im Bereich des kartengebundenen Zahlungsverkehrs ging es wie in den Vorjahren überwiegend um die Frage der Haftung für Schäden aufgrund missbräuchlicher Verwendung abhandengekommener Zahlungskarten. Fast regelmäßig werden mit der Originalkarte unter korrekter Eingabe der PIN Abhebungen vom Konto vorgenommen. Signifikant viele Antragsteller, denen die Karte abhandengekommen war, verlangten von der Bank die Wiedergutschrift eines unter Verwendung der PIN verfügten Betrags mit der Begründung, die Transaktion sei nicht von ihnen autorisiert worden.

Der Kontoinhaber hat seine Bankkarte mit besonderer Sorgfalt aufzubewahren, um zu verhindern, dass sie abhandenkommt oder missbräuchlich verwendet wird. Außerdem hat der Karteninhaber dafür Sorge zu tragen, dass keine andere Person Kenntnis von der persönlichen Geheimzahl (PIN) erlangt. Die PIN darf insbesondere nicht auf der Karte vermerkt oder in anderer Weise zusammen mit dieser aufbewahrt werden, um die Gefahr missbräuchlicher Verfügungen abzuwehren.

Der Streitschlichter gab den Antragstellern recht, wenn der von der Rechtsprechung entwickelte Beweis des ersten Anscheins, dass bei missbräuchlicher Verwendung unter Eingabe der zutreffenden PIN entweder der Karteninhaber die Abhebungen selbst vorgenommen hat oder ein Dritter nach der Entwendung der Karte von der Geheimnummer nur wegen ihrer Verwahrung gemeinsam mit der Karte Kenntnis erlangen konnte (vergleiche BGH vom 29. November 2011, XI ZR 370/10; BGH vom 5. Oktober 2004, XI ZR 210/03), vom Antragsteller erfolgreich widerlegt werden konnte.

Im Rahmen der Streitbeilegungsverfahren gelingt dies allerdings eher selten, wie der nachfolgende Schlichtungsvorschlag K 32/20 zeigt:


„Dem Antragsteller wurde am 17. September 2019 zwischen 11:00 Uhr und 12:00 Uhr in Venedig in der Nähe des Markusplatzes die Geldbörse mitsamt der darin befindlichen Kreditkarte sowie der Debitkarte entwendet.

Mit Hilfe dieser beiden Karten wurden am gleichen Tag um 12:05 Uhr beziehungsweise um 12:10 Uhr Kartenverfügungen durchgeführt. Der unbekannte Dieb hat in zwei Fällen mit der Kreditkarte Lastschriften mit Einzugsermächtigung über insgesamt 500,00 Euro erteilt und in zwei weiteren Fällen mit Hilfe der Debitkarte Abhebungen in Höhe von jeweils 1.000,00 Euro getätigt. Mit dem Gesamtbetrag von 2.500,00 Euro zuzüglich 20,00 Euro Entgelt hat die Antragsgegnerin das Konto des Antragstellers belastet. Mit seinem Schlichtungsantrag verlangt der Antragsteller die Wiedergutschrift dieses Betrags.

Dem tritt die Antragsgegnerin entgegen.

Den Schlichtungsantrag kann ich nicht unterstützen. Der Antragsteller hat gegenüber der Antragsgegnerin keinen Anspruch darauf, dass diese ihm den aufgrund der verfahrensgegenständlichen Verfügungen abgebuchten Betrag wieder gutschreibt.

Dazu im Einzelnen:

1. Ausgangspunkt in rechtlicher Hinsicht ist die gesetzliche Regelung in §§ 675 Absatz 1, 670 BGB. Nach diesen Vorschriften kann die Bank den am Geldausgabeautomaten herausgegebenen Geldbetrag vom Auftraggeber, das ist der Karteninhaber, erstattet verlangen. Gleiches gilt für die aufgrund der erteilten Lastschriften erbrachten Zahlungen seitens der Bank.

2. Modifiziert wird diese Regelung für den Bereich der Zahlungsdienste durch die Bestimmungen der §§ 675 j sowie 675 u bis 675 w BGB, mit deren Einführung die Richtlinie 2007/64/EG vom 13. November 2007 (Zahlungsdiensterichtlinie – ZDRL) in deutsches Recht umgesetzt wurde. Nach § 675 u BGB hat der Zahlungsdienstleister (das ist die Bank) im Falle eines nicht autorisierten Zahlungsvorgangs keinen Anspruch gegen den Bankkunden auf Erstattung seiner Aufwendungen. Er ist vielmehr verpflichtet, dem Kunden den Zahlungsbetrag unverzüglich zu erstatten und, sofern der Betrag einem Zahlungskonto belastet worden ist, dieses Zahlungskonto wieder auf den Stand zu bringen, auf dem es sich ohne die Belastung durch den nicht autorisierten Zahlungsvorgang befunden hätte.

Der Antragsteller hat die Zahlungsvorgänge vom 17. September 2019, also die Abhebungen am Geldautomaten und die erteilten Lastschriften, jedenfalls nicht ausdrücklich autorisiert im Sinne von § 675 u BGB. § 675 u BGB knüpft insoweit an § 675 j Absatz 1 BGB an, wonach ein Zahlungsvorgang gegenüber dem Zahler nur wirksam ist, wenn er diesem zugestimmt hat (Autorisierung). Dies ist vorliegend auszuschließen. Allerdings ist durch eine Entscheidung des BGH, die zu § 675 w Satz 3 BGB in der Fassung vom 29. Juli 2009 ergangen ist – auf den hier vorliegenden Fall ist § 675 w Satz 3 BGB in der nur geringfügig abgeänderten Fassung vom 17. Juli 2017, in Kraft seit dem 13. Januar 2018, anzuwenden –, klargestellt worden, dass der von der Bank zu erbringende Beweis für eine Zustimmung des Kunden zu den Geldabhebungen auch nach den Grundsätzen des sogenannten Anscheinsbeweises erbracht werden kann (BGH, Urteil vom 26. Januar 2016 – XI ZR 91/14).

Diese Entscheidung des BGH ist – nicht nur aus laienhafter Sicht – nur schwer verständlich und bedarf deshalb der Erläuterung. Damit hat es Folgendes auf sich:

Die Vorschrift des § 675 l BGB verpflichtet den Bankkunden, unmittelbar nach Erhalt eines Zahlungsauthentifizierungsinstruments alle zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um die personalisierten Sicherheitsmerkmale vor unbefugtem Zugriff zu schützen. Diese Verpflichtung wird in den am 17. September 2019 gültigen Sonderbedingungen für die girocard (Debitkarte) und in den Vertragsbedingungen für Mastercard- und Visa-Karten (Debit- oder Kreditkarten) – auf letztere habe ich nur bezüglich der seit Februar 2020 gültigen Fassung Zugriff, vergleiche www.vrbank-mkb.de/service/rechtliche-hinweise/agb-sonderbedingungen.html – weiter dahin konkretisiert, dass die Karte mit besonderer Sorgfalt aufzubewahren ist, um zu verhindern, dass sie abhandenkommt oder missbräuchlich verwendet wird (A, II, Ziffer 6.2 beziehungsweise Ziffer 6.2); außerdem hat der Karteninhaber dafür Sorge zu tragen, dass keine andere Person Kenntnis von der persönlichen Geheimzahl (PIN) erlangt. Die PIN darf insbesondere nicht auf der Karte vermerkt oder in anderer Weise zusammen mit dieser aufbewahrt werden. Denn jede Person, die die PIN kennt und in den Besitz der Karte kommt, hat die Möglichkeit, zu Lasten des auf der Karte angegebenen Kontos Verfügungen zu tätigen (A, II, Ziffer 6.3 beziehungsweise Ziffer 6.3).

Dass der Antragsteller gegen diese in Ziffer 6.2 und 6.3 der Sonderbedingungen beziehungsweise der Vertragsbedingungen konkretisierten Sorgfaltspflichten grob fahrlässig verstoßen hat, steht keineswegs fest. Tatsache ist, dass die genauen Umstände, wie der oder die Täter sich Kenntnis von der PIN verschaffen konnten, im Wesentlichen ungeklärt sind. In solchen Fällen, in denen der tatsächliche Geschehensablauf nicht geklärt ist und auch nicht mehr geklärt werden kann, arbeitet die Rechtsprechung mit sogenannten Beweisregeln. Dazu gehört auch die Regel über den sogenannten Anscheinsbeweis. Der Anscheinsbeweis greift bei typischen Geschehensabläufen ein, also in Fällen, in denen ein bestimmter Tatbestand nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache für den Eintritt eines bestimmten Erfolges hinweist (BGH, Urteil vom 27. Mai 1957 – II ZR 132/56). Dafür, dass der Antragsteller gegen diese in Ziffer 6.3 der jeweiligen Nutzungsbedingungen konkretisierten Sorgfaltspflichten grob fahrlässig verstoßen hat, spricht vorliegend tatsächlich der Beweis des ersten Anscheins. Nach Sachlage ist davon auszugehen, dass die am 17. September 2019 erfolgten Verfügungen unter Verwendung der Originalkarte und unter Eingabe der richtigen PIN erfolgt sind. Dies hat zur Folge, dass nach der Rechtsprechung des BGH der Beweis des ersten Anscheins dafürspricht, dass der Karteninhaber pflichtwidrig die PIN auf der Karte notiert oder gemeinsam mit dieser verwahrt hat (BGH, Urteil vom 29. November 2011 – XI ZR 370/10). Durch die dadurch ermöglichte Eingabe der richtigen PIN als Zahlungsauthentifizierungsinstrument wird der Zahlungsvorgang somit nach den Regeln des Anscheinsbeweises autorisiert. Damit hat die Antragsgegnerin den ihr obliegenden Beweis für eine Autorisierung erbracht.

3. Dieser Beweis des ersten Anscheins ist vorliegend nicht erschüttert. Dies wäre lediglich dann der Fall, wenn die Karten in einem näheren zeitlichen Zusammenhang mit der Eingabe der PIN durch den Karteninhaber entwendet worden sind, wenn also ein Fall des Ausspionierens vorliegt (BGH vom 5. Oktober 2004 – XI ZR 210/03). Dafür gibt es vorliegend keine Anhaltspunkte.

4. Ein Anspruch des Antragstellers auf Wiedergutschrift des seinem Konto belasteten Betrags besteht deshalb nicht. Aus dem Umstand, dass die Sparkasse Oberhessen dem Antragsteller die mit Hilfe der von ihr ausgestellten Debitkarte, die gleichzeitig entwendet worden ist, getätigten Verfügungen ersetzt hat, kann der Antragsteller nichts herleiten. Welchen Inhalt die Sonderbedingungen haben, die der Antragsteller mit der Sparkasse vereinbart hat, ist mir nicht bekannt. Möglicherweise hat die Sparkasse eine Erstattung auch nur aus Kulanz vorgenommen: Welche Erwägungen sie dazu veranlasst haben, ist mir ebenfalls nicht bekannt. Ich kann lediglich feststellen, dass ein Vorgehen des Antragstellers gegenüber der Antragsgegnerin keinerlei Aussicht auf Erfolg hat, sodass ich ihm nur raten kann, von der weiteren Verfolgung des geltend gemachten Anspruchs abzusehen.“


Auffallend häufig in diesem Berichtszeitraum und regelmäßig gänzlich ohne Aussicht auf Erfolg verlangten Antragsteller die Rückgängigmachung der von ihnen autorisierten Zahlungen – meist weil der Zahlung ein nicht wirksames oder angefochtenes oder gar nur unliebsam gewordenes Rechtsgeschäft zugrunde lag. Im folgenden Schlichtungsvorschlag S 20/20 klärte der Streitschlichter darüber auf, dass die Bank in ihrer Funktion als Zahlungsdienstleister selbstverständlich nicht dafür haftet, dass der Kunde an (verbotenen) Glücksspielen ohne Erfolg teilnahm:


„Der Antragsteller hat bei Online-Glücksspielen rund 16.000 Euro verloren. Er verlangt von der Bank Wiedergutschrift, weil sie an verbotenen Glückspielen mitgewirkt habe.

Die Bank tritt dem Anspruch entgegen.

Der Schlichtungsantrag ist nicht begründet.

In bankvertraglicher Hinsicht hätte die Bank für die Überweisungsaufträge nach § 676 j BGB nur dann keinen Aufwendungsersatzanspruch im Sinne von §§ 670, 675 Absatz 1, § 676 f BGB, wenn es an einem vom Antragsteller autorisierten Zahlungsvorgang fehlte. Dass der Antragsteller die Zahlungen autorisiert hat, steht hier jedoch außer Streit und unterliegt auch sonst keinem Zweifel.

Im Übrigen wirft die Antragsbegründung aufsichtsrechtliche Gesichtspunkte und haftungsrechtliche Aspekte sachwidrig in einen Topf. Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob die Bank aus öffentlich-rechtlicher Verpflichtung, also im Verhältnis zum Staat, gehalten ist, bestimmte Geschäfte nicht zu fördern, und ob aus einem etwaigen Verstoß gegen solche Pflichten Schadensersatzansprüche des einzelnen Bankkunden hergeleitet werden können, der seinerseits ein gesetzwidriges Verhalten an den Tag gelegt und seinen eigenen Interessen grob zuwidergehandelt hat. Das muss hier aber nicht weiter vertieft werden: Die Zahlungen erfolgten unstreitig über einen neutralen Zahlungsdienstleister. Die Bank konnte und musste nicht den jeweiligen Zahlungsadressaten und den Verwendungszweck hinterfragen. Sie war nicht berechtigt oder sogar verpflichtet, dem Privatleben des Antragstellers detektivisch nachzuspüren. Ich möchte nicht wissen, was der Antragsteller von sich geben würde, wenn die Bank eine lückenlose Kontrolle seines Privatlebens und seines Spielverhaltens vorgenommen und ihm womöglich Gewinne vermasselt hätte.

Der Frage, ob sich etwas anderes ergeben kann, wenn ein Finanzinstitut bewusst und gewollt mit einem widerrechtlich agierenden Glücksspielunternehmen zusammenwirkt, muss hier nicht nachgegangen werden. Dafür fehlt es an jedem Anhaltspunkt. Die Rechtsprechung zu (Kreditkarten-)Umsätzen mit offensichtlich missbräuchlich agierenden Vertragsunternehmen ist daher vorliegend nicht im Ansatz einschlägig.

Der Antragsteller sollte den Anspruch nicht weiterverfolgen.

Das zuletzt von der Bank angesprochene (gekündigte) Darlehen ist nicht Gegenstand des Schlichtungsantrags.“