In vielen Fällen hatten Antragsteller – teils auf Empfehlung der Bank, teils auf eigene Initiative – Aktienfondsanteile, Anleihen, Beteiligungen oder Zertifikate erworben und verlangten mit ihrem Antrag auf Streitbeilegung Schadenersatz wegen Verletzung beratungsvertraglicher Aufklärungs- und sonstiger Pflichten, also die Rückgängigmachung des Anlageentschlusses.
Oft konnte von den Ombudsleuten aufgrund der unterschiedlichen Darstellungen beider Streitparteien hinsichtlich des Beratungsverlaufs mangels Beweiserhebungsmöglichkeit nicht eindeutig festgestellt werden, dass die Beratung der Bank den von der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen nicht entsprach. In solchen Fällen wird gemäß § 3 Absatz 2 Buchstabe b) Verfahrensordnung (VerfO) die Durchführung des Streitbeilegungsverfahrens per Bescheid abgelehnt.
Im nachfolgenden Schlichtungsvorschlag hat es die Bank jedoch unterlassen, dem Sachvortrag des Antragstellers überhaupt entgegenzutreten. Eine nur wertende Einlassung kann ein Streitschlichter jedoch nicht berücksichtigen. Die im Zivilprozess geltende Verhandlungsmaxime begründet für beide Parteien die Obliegenheit, sich zu den von der anderen Partei vorgetragenen Tatsachen zu erklären. Dies gilt auch im außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahren. Der Streitschlichter klärte die Bank darüber auf, dass eine vom Antragsteller dargelegte Pflichtverletzung als zugestanden gilt, wenn der Sachvortrag durch die Bank nicht durch einen entsprechenden Sachvortrag entkräftet wird. Dies gilt auch und insbesondere dann, wenn der Sachvortrag des Antragstellers nicht der Wahrheit entspricht. Erklärt sich die Partei nicht, so gilt der Tatsachenvortrag der anderen Partei als zugestanden, wie der folgende Schlichtungsvorschlag D 17/23 aufzeigt:
I.
Die 78-jährige Antragstellerin macht, nachdem sich ihre Beschwerde in einem anderen Punkt erledigt hat, noch Folgendes geltend:„Im Jahr 2010 habe ich für meine beiden Enkel bei (…) folgende Verträge abgeschlossen (…), mit dem Hintergrund ihnen zum 18. Geburtstag einen Geldbetrag zur Verfügung stellen zu können. Monatlich zahle ich 30 Euro je Vertrag ein.
Zu Beginn dieses Jahres habe ich festgestellt: Das Guthaben der Verträge entspricht nicht den eingezahlten Beiträgen. Des Weiteren ist die Laufzeit der Verträge weit über das gewünschte Ziel hinaus (Alter der Enkel 18 Jahre), nämlich bis zum 58. Lebensjahr. Dies war niemals mein Wunsch und wurde mir während der Beratung auch nicht erklärt.
Sie verlangt Entschädigung und Wiedergutschrift der eingezahlten Beträge.
Die Bank hat wie folgt Stellung genommen:
„Wir haben mit unseren Mitarbeitern und der R+V Versicherung gesprochen. Ebenso haben wir alle Unterlagen zu den seinerzeit geführten Beratungen angefordert und eingehend geprüft, um sachlich korrekt zu dem Anliegen von Frau (…) Stellung nehmen zu können.
Wie wir Frau (…) bereits mit Schreiben vom 29. März 2023 mitgeteilt haben, können wir keine Fehler in der Beratung zu den Versicherungsverträgen für die Enkelkinder unserer Kundin finden. Auch eine erneute Prüfung des Sachverhalts führte zu keinem anderen Ergebnis und wir sehen weiterhin keine Grundlage für eine Erstattung oder Rückabwicklung dieser Verträge.
II.
Der Schlichtungsantrag ist im noch nicht erledigten Umfang begründet und sollte zur Rückabwicklung der streitigen Verträge für die Enkel der Antragstellerin führen.Hinsichtlich der R+V SofortRente haben sich die Parteien geeinigt, weshalb hierzu kein Schlichtungsvorschlag erforderlich ist.
Im Übrigen hat die Antragstellerin gegen die Bank einen Anspruch auf Schadensersatz, der im Wege der Rückabwicklung der streitigen Verträge zu erfüllen ist. Die Antragsgegnerin hat gegen die ihr obliegenden beratungsvertraglichen Pflichten verstoßen (§ 280 Absatz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)), denn sie hat die Antragstellerin wegen der Zuwendungen an ihre Enkel fehlerhaft beraten.
Die seitens der Bank bis zuletzt nur höchst summarisch unterbreitete Rechtsverteidigung ist in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht völlig unergiebig. Der pauschale Einwand, dass sie keine Fehler in der Beratung erkennen könne, beinhaltet schon keinen konkreten Sachvortrag. Als Anspruchsgegnerin steht die Bank aber auch im Schlichtungsverfahren entsprechend den zivilprozessualen Grundsätzen (vergleiche insbesondere § 138 Zivilprozessordnung (ZPO)) in der Pflicht, sich zum Vorbringen der Antragstellerin zu erklären, ihren eigenen Vortrag zu konkretisieren und – soweit im Schlichtungsverfahren möglich – zu belegen. Die umfassenden Defizite im Sachvortrag der Bank als einem rechts- und geschäftserfahrenen Finanzinstitut zwingen zu der Annahme, dass der Bank eine in tatsächlicher Hinsicht substantiierte und rechtserhebliche Verteidigung gegen den Schlichtungsanspruch nicht möglich ist. Der Schlichtungsantrag steht deshalb als berechtigt fest.
Eine beratende Bank ist zu einer anleger- und anlagegerechten Beratung verpflichtet (ständige Rechtsprechung, vergleiche Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 6. Juli 1993 - XI ZR 12/93, Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen (BGHZ) 123, 126, 128 folgende). Inhalt und Umfang der Beratungspflichten hängen von den Umständen des Einzelfalls ab. Maßgeblich sind einerseits der Wissensstand, die Risikobereitschaft und das Anlageziel des Kunden und andererseits die allgemeinen und speziellen Gegebenheiten, die sich aus den Besonderheiten des Anlageobjekts ergeben. Die Beratung hat sich auf diejenigen Eigenschaften des Anlageobjekts zu beziehen, die für die jeweilige Anlageentscheidung wesentliche Bedeutung haben oder haben können (vergleiche BGH, Urteile XI ZR 182/10, BGHZ 191, 119; vom 27. September 2011 - XI ZR 178/10, juris mit weiteren Nachweisen).
Zwischen den Parteien ist ein Beratungsvertrag zustande gekommen. Nach ständiger Rechtsprechung wird ein Beratungsvertrag – zumindest stillschweigend (konkludent) – schon dann geschlossen, wenn eine Bank tatsächlich Beratungsleistungen gegenüber ihren Kunden erbringt (vergleiche nur BGH, Urteil vom 18. April 2013, III ZR 83/12; Urteil vom 25. September 2007, XI ZR 320/06; Versäumnisurteil vom 18. Januar 2007, III ZR 44/06, Neue Juristische Wochenschrift Rechtsprechungs-Report Zivilrecht (NJW-RR) 2007, 621). Voraussetzung ist dafür, dass sich der Bankkunde ratsuchend an die Bank wendet und erkennbar Informationen einholen und einen (Anlage-)Entschluss von der ihm zu erteilenden Beratung abhängig machen will. Es muss also ein konkreter Beratungsbedarf ersichtlich werden nebst der nach außen hin bestätigten Bereitschaft der Bank, entsprechende Informationen zu erteilen.
Das war hier selbst nach der ansonsten ganz unergiebigen Stellungnahme der Bank der Fall, denn sie stellt nicht in Abrede, gegenüber der Antragstellerin beratend und vermittelnd tätig gewesen zu sein.
Dass die Bank ihre Beratungspflichten beachtet hätte, ist auch nicht ansatzweise feststellbar. Unstreitig verfolgte die Antragstellerin das Ziel, ihren Enkeln zum 18. Geburtstag eine anzusparende Geldzuwendung als Beihilfe für Ausbildung und Führerschein zukommen zu lassen. Dieses Ziel ist komplett verfehlt worden, und zwar aus Gründen, die sowohl in der Person der Antragstellerin als auch der Enkel begründet liegen. Das Anlageziel war mit dem empfohlenen Produkt überhaupt nicht einmal wirtschaftlich sinnvoll erreichbar.
Der Antragstellerin wurde ein Produkt empfohlen, das schon auf den ersten Blick nicht anlage- und anlegergerecht sein konnte. Ihr wurde ein vertragliches Konstrukt angetragen, dessen Laufzeit nicht nur Jahrzehnte über die Lebenszeit der Antragstellerin hinausreichte, sondern auch bis zum 58. Lebensjahr der Enkel laufen sollte. Damit wurde der Antragstellerin kein Volljährigkeitsgeschenk zugunsten der Enkel ermöglicht, sondern ein Vertrag begründet, der letztlich ohne überschaubare Perspektive Geldmittel band und sich praktisch wie ein Vertrag zu Lasten Dritter (der Enkel) auswirkte. Unstreitig ist dabei auch, dass den Enkeln kein verzinster Geldbetrag zugutekommt, sondern nur eine versicherungsvertragliche Anwartschaft, bei welcher der aktuelle Wert der bisher eingezahlten Ansparsumme nicht annähernd entspricht. Dazu hat die Antragstellerin – wiederum unwidersprochen – folgende Wertentwicklung aufgezeigt:
„Ich habe monatlich pro Kind 30 Euro eingezahlt. Das bedeutet, dass ich pro Kind einen Betrag von 4.380 Euro, bis zum 31. Dezember 2022 eingezahlt habe.
Stand bis zum 31. Dezember 2022 war bei S. D. lediglich 2.186,10 Euro. Das ergibt einen Verlust von 2.194 Euro – bis zum oben angegebenen Datum.
Stand bis zum 31. Dezember 22 war bei L. D. lediglich 2.245,58 Euro, Verlust 2.134,42 Euro.“
Auf alle diese Umstände, die auf eklatante Weise von dem Anlageziel der Antragstellerin abweichen, hätte die Bank ausdrücklich und unmissverständlich hinweisen müssen, was mangels stichhaltiger Einwendungen seitens der Bank keiner rechtlichen Vertiefung bedarf. Zum Vorbringen der Antragstellerin, dass ihr die Funktion der Anlage überhaupt nicht aufgezeigt worden sei, hat die Bank nichts vorgetragen. Deshalb ist die Antragsbegründung als unstreitig zu behandeln (§ 138 Absatz 2 und 3 ZPO analog).
Das beratungsfehlerhafte Verhalten der Bank verpflichtet sie zur Rückabwicklung. Sie hat die Antragstellerin so zu stellen, als habe diese die streitigen Verträge nicht geschlossen. Sie hat der Antragstellerin antragsgemäß das eingesetzte Kapital zurückzuzahlen, Zug um Zug gegen Abtretung der Rechte aus den zugrunde liegenden Verträgen.
Die Bank sollte mit dieser Maßgabe rückabwickeln.